Stadt mit Hätz

Stadt mit Hätz

Ich komme aus einer eher unbekannten Ecke Deutschlands. Bin keine Schwäbin, die Ecke in der ich geboren wurde nennt man Hohenlohe oder wer‘s ganz genau wissen möchte Hohenlohe-Franken. Ich assoziiere mit Dialekt und Landschaft schon „Heimatgefühle“ aber alle Emotionen sind in dieser Gegend eher introvertiert und leise. Bescheiden trifft es vielleicht am Ehesten. Hohenloher sein ist nichts was weit über die Grenzen des Landstriches hinaus kommuniziert würde, diese Identität kann man gut neben anderen Identitäten haben ohne in irgendeinen Wahrnehmungskonflikt zu geraten. Kennt ja eh keiner.

Ganz anders ist das in Köln. Vor 11 Jahren als ich mich zuerst in einen Kölner und dann auch in Leute und Stadt verliebte – war das gelinde gesagt ein Kulturschock. Wenn ich nach Laos oder nach Kambodscha reise tue ich das wegen der anderen Kultur und rechne auch damit. Aber damals als ich das eine oder andere Wochenende oder auch mehr da verbrachte – war das unerwartet, fremd und zunächst auch nicht immer einfach. Ich erinnere mich auch noch sehr gut an meine ersten Straßenbahnfahrten. Am Anfang dachte ich darüber nach, ob man mir vielleicht irgendwie ansieht, dass ich fremd in der Stadt bin. Oder ich irgendwie immer ausgerechnet in den Wagen gerate in dem die Menschen sitzen die jeden anquatschen. 11 Jahre und viele Besuche später würde ich es fast vermissen wenn mir nicht irgendeiner ein Gespräch drückt. Man kann auch selten vom Äußeren der Menschen auf die Gesprächsqualität schließen. Die Themen reichen von der Marketing- und Vertriebsstrategie von bio-Supermärkten bis hin zu erwartungskonformeren Themen. Zum Beispiel der Performance des FC. Für einen Kölner ein Kürzel das notfalls für alles steht was die Stadt ausmacht.

Aber zurück zu meinen ersten Begegnungen hier. Als ich das erste Mal auf Jörgs Familie traf war mir wohl sehr deutlich anzumerken, dass mir das alles ungewohnt war. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus – und hab darüber das Reden vernachlässigt. Ein wortkarger Stamm halt die Schwaben. Schwabe bin ich nach wie vor für die Kölner, wobei man mir hoch anrechnet, dass man das angeblich nicht hört. Ich belasse es auch bei dieser Bezeichnung. Das ändert nichts – mehr Differenzierung ist auch nicht sinnvoll. Trotzdem wurde ich schneller integriert als ich gucken konnte. Eine typische Köln-Kompetenz: Jeder „Jeck ist anders“.

Jörgs Familie könnte schon als Vorbild für eine Soap herhalten. Jörg ist Einzelkind. Aber das fällt kaum auf wenn er zuhause ist. Er hat nämlich zwei Kusinen. Könnten auch seine Schwestern sein. Und es gibt das Schmitz-Haus. Bis vor ein paar Jahren noch war sogar eine Schmitz-Leuchtreklame aus den 60-igern dort angebracht. Das Firmenschild von Tante Bärbels Kurzwarenladen. In diesem Schmitz-Haus wohnen 90 Prozent der Familie. In Bärbel und Dieters Küche findet immer das statt, was sich wie eine Fernsehserie anfühlt. Es gibt Kaffee und Kuchen. Nach Familienbrauch den Kaffee möglichst ohne Kaffeelöffel. Oft sitzen am Anfang 4 Leute da. Kurz nachdem geklärt ist wer Kaffee trinkt und wer nicht – schellt es das erste Mal. Meist Felix oder Moritz. Selten beide gleichzeitig. In der Küche wird währenddessen erzählt was das Zeuch hält. Am Anfang hatte ich Schwierigkeiten. Auch wenn ich in den 80ern mal eine BAP-Zeit hatte. Mittlerweile muss man mir selten was erklären. Und ich komme auch das eine oder andere Mal zu Wort. Selten finden dort am Küchentisch nur zwei Unterhaltungen gleichzeitig statt. Wenn wir gehen waren irgendwann mal alle aus dem Haus kurz am Tisch.

Ja und völlig integriert bin ich, seit ich Karneval entdeckt habe. Natürlich kannte ich das auch von zuhause. Zumindest theoretisch. Am Anfang hab ich das noch sehr touristisch begriffen. Mal Rosenmontagszug, mal der 11. im Elften. Kneipenkarneval so oder so. Am liebsten mag ich die kölschen Lieder die dabei immer wieder gemeinsam geschmettert werden. Übrigens auch bei jeder Familienfeier. Na, auf jeden Fall hätte man mir meine Begeisterung für Köln, Karneval und vor allem sein sentimentales Liedgut nicht ohne weiteres zugetraut. Umso mehr freue ich mich auch dieses Mal auf das Karnevalswochenende mit Mottoball. Ich erfahre das Motto sobald es bekannt ist. Damit ich mir dann das Hirn ausrenken kann –  „als was“ ich gehe. Höhepunkt war mal mein Quallen-Outfit. Originell aber unpraktisch und zu warm.

So jetzt bin ich aber gewaltig „abgeschwiffen“. Ich wollte ja vor allem auf die emotionale Seite der Köln-Einwohner kommen. Das Liedgut mit viel Heimatbesoffenheit und schrägem Patriotismus ist nur ein Indiz. Ein weiteres typtisches Phänomen ist das nur schwer erklärbare Verhältnis des Kölners zum ortsansässigen Fußballverein mit dem Geißbock im Wappen. Und dort ist man in den letzten Jahren ja nicht unbedingt vom Erfolg verwöhnt. Schon deshalb ist das Verhältnis des Fans zur FC-Hymne mit einer Art Glaubensbekenntnis oder Mantra gut zu vergleichen. Auf jeden Fall gehört der musikalische Treueschwur – gesungen von einem ausverkauften Stadion – zu den Köln-Erlebnissen der ganz besonderen Art. Ganz egal wie das Spiel ausgeht, und ob man was davon versteht oder nicht. Den Anfang eines jeden Heimspiels mit der FC-Hymne, den vergisst man so schnell nicht. Hat was von Kathedrale und Gottesdienst, wenn der Stadionsprecher ansagt: „ .. bitte erheben Sie sich von Ihren Plätzen für die FC-Hymne. Dagegen verblasst sogar der Schmunzler beim Begrüßen der gegnerischen Mannschaft : „ Herzlich willkommen in der schönsten Stadt Deutschlands“.

So ist jeder Köln-Besuch zwar auch anstrengend, da jeder mal besucht werden muss – aber eben auch schön. Weil was fürs Hätz. Und ich kann dann schon verstehen warum Jörg ab und zu mal ein bisschen Heimweh hat.

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