Jenseits von Schwäbisch Hall

Jenseits von Schwäbisch Hall

Touchdown Windhoek am 9. Juni kurz nach 8 Uhr. Ortstzeit ist identisch mit deutscher Sommerzeit. Easy. Schlange beim Simcard kaufen. Aber sonst…

Dann Camper abholen – in derselben Station wie 2015. Die Körperlose Giraffe ist immer noch da. Reifen sehen top aus. Schränke und Tür klemmen. Es wird noch bisschen was repariert. Der Ersatzreifen sieht nicht so doll aus, wir sollen anrufen wenn wir einen neuen brauchen.

Wir starten zügig nach Norden, denn wir haben noch eine ganz schöne Strecke vor uns bis zur Waterberg Campsite. Vermutlich das allererste Mal, dass wir einen Campingplatz zum zweiten Mal ansteuern. Wir werden auch nicht enttäuscht. Er liegt immer noch wunderschön am Rande des Waterberg Plateaus im roten Sand. Eigenes Sanitärappartement und Grillstelle inklusive. Wir genießen das schöne Licht und sichten meine Schnell-Einkäufe. Es gibt Huhn mit Bohnen am Lagerfeuer.

Jörg „grillt“ wie immer über dem offenen Feuer. Ich wärme Bohnen in Braii-Sauce in der Outdoorküche. Das Huhn gart langsam – wir essen mit Stirnlampen unterm Sternenhimmel. Es klingt kitschig – und ja irgendwie ist es das ja auch. Aber das gute kitschig.

Morgens gibt es Müsli aus der Bordküche, mit (das ist neu) handgemahlenem Kaffee. Es ist noch frisch morgens. Afrikanischer Winter halt. Wir packen das erste Mal alles zusammen – heute wird’s staubig beim Fahren, und erfahrungsgemäß packt man seine Bettsachen besser in Plastik, da der Staub von den Pisten auch ins Wageninnere gelangt. Auf zum ziemlich abgelegenen Living Museum eines Stammes namens Ju‘/Hoansi …

Auf dem langen Weg dorthin diskutieren wir schon mal das Für und Wider solcher Veranstaltungen. Den Programmpunkt hätte ich persönlich nicht gebraucht – aber „raus aus der Komfortzone“ wie es so schön abgedroschen heißt.

Auf dem Weg sehen wir zufällig die ersten drei Giraffen. Eine steht mitten auf der sehr breiten Piste und schreitet (sorry das tun sie halt) dann über die Piste zur anderen Seite zu ihren zwei Kumpels und verschwinden im Busch. Danach nur noch Ziegen, Rinder, Esel, Warzenschweine, Kissenvögel (muss nachschauen wie die nochmal hießen) und ab und zu mal Pferde.

3 Campsites stehen zur Auswahl. Alle unbesetzt. Wir nehmen mangels Orientierung zielsicher den vierten, der sich als der Dorfplatz mit „Touri-Shop“ mit unzähligen selbstgebastelten Armbändern, Halsketten und Schnitzereien herausstellt. Uns gefällt aber der große, alte Baum, der in unserer Aussicht steht. Die Dorfbewohner sehen das auch entspannt.

Wir bereiten dieses mal unser Essen, das restliche Chicken und eine weitere „Gemüse mit Soße Geschichte“, in der Outdoorküche zu. Es ist wunderbar still und es wird nach einem dramatisch roten Sonnenuntergangsball wieder sehr schnell total dunkel. Die Sterne funkeln und man kann die Milchstraße sehen.

Lustiger Weise hatten wir in diesem abgelegenen Camp sogar einen fast vernünftigen 3G Empfang, und wir haben zumindest das eine oder andere Reel gepostet.

Irgendwann so zwischen 8 und 9 werden wir von den nun „verkleideten“ Dorfbewohnern zu unserem gebuchten Buschwalk abgeholt, wobei verkleidet Leder gegerbte Umhänge bedeutet. Wir erfahren einiges über Pflanzen und vor allem ihre Wurzeln, die sogar bei fachmännischer Anwendung Bisse der schwarzen Mamba heilen können. Ein lebender Beweis steht vor uns. Der „Krieger“, der Jörg versucht das Feuermachen und erlegen von Tieren mit Giftpfeilen beizubringen.

Alles in allem ist es ganz unterhaltsam – auch wenn Jörg das sicher um einiges mehr genießt als ich. Selbst längeres Grübeln macht mich nicht schlauer, warum mir das so unangenehm ist. Es wird irgendwas zwischen „unnatürlich ausgestellt“ und „doofer Ehtno-Tourismus“ sein. Jörg meint: „Es ist halt so ähnlich wie eine bayrische Trachtenkapelle, die für japanische Touristen aufspielt.“

Aber letztendlich machen die Ju‘/Hoansi aus ihrer Not halt was geht. Geld haben die Landbewohner hier alle nicht wirklich, warum nicht das Naturvolk für die Touristen darbieten.

Den Höhepunkt erreicht es als sich eine sehr, sehr alte Frau zu uns setzt, die auf Nachfrage nur weiß, dass Sie im Winter geboren wurde. Ihr Bild zeigen wir nur hier, und sie wollte auf Nachfrage fotografiert werden.

Alte Frau der Ju Hansei

Irgendwie verspüre ich die ganze Zeit über die moralischen Bedenken einer solchen Reise was sagen zu wollen. Ich bin mega glücklich, dass wir so eine Reise machen können. Dass es Flugzeuge gibt, die wir uns leisten können, dass wir so privilegiert sind uns drei Wochen Urlaub zu nehmen und dem Alltag völlig zu entfliehen. Auch wenn diese Art Konsum nicht die Beste für die Welt und das Klima ist.

Es bleibt ein Dilemma, für das es wohl keine wirkliche Lösung gibt. Habe mich fürs Erste entschlossen, mir dessen bewusst zu sein. Zum Bruttoinlandsprodukt von Namibia und Botswana beizutragen sollte was Gutes sein. Ich werde die Reise weiter in vollen Zügen genießen, auch wenn die kleinen Zweifel immer ein bisschen da sind und ich es am Ende vielleicht nur für mich getan habe. Man kann es Bereicherung oder Seelenheil nennen. Nix klingt wirklich richtig. Aber es ist ein belebendes, inspirierendes Gefühl, Dinge auf der Welt zum ersten Mal zu sehen und zu erleben. Das sind die Zweifel allemal wert.

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