Gekochte Schmitze

Gekochte Schmitze

Temperatursturz über Nacht: heute pendelt sich das Thermometer erstmals in diesem Urlaub zart unter der 30 Grad-Marke ein. Bei einer derartigen Schockfrostung stehen uns 2 Möglichkeiten offen. Schnell in der nächsten Shopping Mall eine Runde Winterklamotten besorgen. Oder die hiesige Art der Thermalbäder, die Onsen zu nutzen, deren Wassertemperatur bei kuscheligen 42 Grad liegt.

Wir entscheiden uns für letzteres, fahren (bereits gestern) mit dem Zug von Kyoto in das 2 1/2 Stunden entfernte Kinosake Onsen. Das knapp 4.000 Einwohner zählende Dörfchen liegt sozusagen an der Nordseeküste Japans und gehört seit 1.300 Jahren zu einem der ersten und ältesten Onsen-Bädern des Landes. Das klingt ein wenig nach Rentner-Hölle, zumal die Geschäfte alle pünktlich um 18 Uhr schließen. Überraschenderweise tummelt sich hier aber dennoch auch einiges an Jungvolk.

Downtown Kinosake Onsen: Entlang dieses Flüsschens reihen sich die Thermalbäder auf.

Unser kleines, schmuckes Hotel Kensui Annex bietet Zimmer im japanischen Stil, also mit bretthartem Futon-Bett, viel Holz und einer schnickschnackfreien Ausstattung. Außerdem stellt es uns für die 7 Onsen, die sich entlang eines schmalen Flüsschens aneinander reihen, einen Tagespass für heute aus, japanische Bademäntel (Yakutas), japanische Holzsandalen (Getas, s. Titelbild) sowie eine mehrseitige Gebrauchsanleitung für die Onsen. Letzteres ist besonders wichtig, denn in einem Land, in dem sehr sehr vieles sehr sehr genau geregelt ist, gibt es natürlich auch beim Baden zahlreiche Möglichkeiten, die Etikette massiv zu verletzen.

Also werfen wir unsere Bademäntel über (Wichtig: die linke Seite muss über der rechten liegen!), ich schlüpfe in meine Geta (Beate nimmt sicherheitshalber lieber ihre Flip-Flops) und so bekleidet machen wir uns auf Richtung Onsen Nr. 1. Ja, mit Bademantel und Sandalen in der Öffentlichkeit, das ist hier Teil der Folklore. Getas trugen bereits die Samurai, dementsprechend mutig und würdevoll schreite ich in ihnen die Straße entlang. Beates Einwand, ich würde mich darin nicht besonders souverän bewegen, ignoriere ich umkommentiert.

How to Yukata: Zum Glück hängen überall Bilder die beschreiben, wie man sich richtig verhält.

In Onsen selber gehen wir getrennte Wege. Männlein und Weiblein sind streng separiert. In der Herren-Umkleide steht eine digitale Wage. Da Japaner ein bemerkenswertes Faible für Präzision haben, zeigt die Waage das Gewicht bis zur dritten Stelle hinter dem Komma an. Precision to the highest standard, wie es bei meinem Arbeitgeber Bausch+Ströbel so schön heißt.

Japan ist, soweit wir das bisher erleben durften, sauber, unfassbar sauber. Keine festgetretenen Kaugummis auf den Straßen und Gehwegen, keine Zigarettenkippen, kein sonstiger Müll. Null. Niente. Nada. Die Straßen als „besenrein“ zu bezeichnen, wäre eine maßlose Untertreibung. Dagegen wirken selbst saubere deutsche Städte wie eine Mega-Müllkippe.

Diesen japanischen Hang zur Reinlichkeit gilt es vor dem Betreten eines Onsen-Pools unbedingt zu beachten. Hier gibt es 2 Varianten, die wir für alle, die uns möglicherweise nachfolgen, erörtern.

Die Quick & dirty Variante: Seife dich von Kopf bis Fuß ein. Zähle dabei z.B. alle Primzahlen von 2 bis 99991 auf (für alle, die die Zahlen nicht im Kopf haben sollten, hier unser Service-Link: https://de.wikibooks.org/wiki/Primzahlen:_Tabelle_der_Primzahlen_(2_-_100.000)). Trockne dich kurz ab. Möglicherweise wirst du von den anwesenden Japanern dann kurze, missliebige Blicke erhalten, denn wie gesagt, du warst quick. Betrete den Pool. Möglicherweise wird dann der eine oder andere Japaner den Pool augenblicklich verlassen, denn du bist immer noch dirty.

Damit so ein Onsen-Pool nicht zum Mega-Fettnapf wird, solltest du also lieber …

die Profi-Variante wählen: hier säuberst du ebenso intensiv wie ausdauernd möglichst jede einzelne Hautpore, bis du dir mindestens die beiden oberen Hautschichten weggerubbelt hast. Dies sichert dir die anerkennenden Blicke der Einheimischen und niemand wird fluchtartig den Pool verlassen.

Onsen Nummer 1

Der Onsen-Pool selber speist sich wie gesagt aus Thermalquellen, das bedeutet, das Wasser ist in etwa so temperiert, wie in einer voll aufgedrehten heißen Badewanne. Wer nach der Profi-Reinigung noch keine rötliche Hautfarbe angenommen hat, erhält sie spätestens jetzt. Ertrage die Hitze wie ein Samurai Schmerz erträgt: ohne mit der Wimper zu zucken. So machen es auch die Japaner. Bleibe einige Minuten im Pool sitzen. Nein, du wirst dich nicht an den Schmerz gewöhnen aber es hilft, über Kühlschränke oder Klimaanlagen zu meditieren. Ignoriere auch beim Verlassen des Pools den anschließenden Kreislaufkollaps und halte dich irgendwie aufrecht auf den Beinen.

Das Ganze soll übrigens gesund und entspannend sein.

Fun Fact: es stehen auch Behälter zur Verfügung, um sich im Thermalwasser Eier zu kochen, die sogenannten Onsen-Eier.

Fazit: Für wen sind Onsen geeignet? Für alle, die schon immer mal wissen wollten, wie sich ein gekochter Hummer so fühlt. Und für wen sind Onsen nicht geeignet? Für alle, die nicht wissen wollen, wie sich ein gekochter Hummer so fühlt.

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